Alois Riehl's
Critical Realism
Spatial and Temporal Foundations
of Science
Alois Riehl's
Critical Realism
Spatial and Temporal Foundations
of Science
W o r k s h o p
„Wissenschaftliche Philosophie. Transformationen vom 18. ins 19. Jahrhundert“
Organisation: Simone de Angelis / Rudolf Meer
12.-13. Dezember 2024
Österreichische Akademie der Wissenschaften
ÖAW-Campus, Seminarraum 2, 20 PAX
Wissenschaftliche Philosophie ist der Versuch, Philosophie ausgehend von den Kriterien der Einzelwissenschaften als eigenständige Wissenschaft zu etablieren (Friedman 2001, 3–24; Richardson 2008, 88–96). Die Frage nach ihrer Entwicklungsgeschichte wirft folglich das Problem des komplexen und historisch kontingenten Verhältnisses von Philosophie und Wissenschaft auf.
Der Begriff selbst wird zumeist mit Bertrand Russell und Edmund Husserl assoziiert. Am Anfang des 20. Jahrhunderts waren sie die wichtigsten Vertreter des Anspruchs auf Erneuerung der Philosophie und entwickelten den Begriff an zentralen Stellen ihrer Arbeiten (u. a. Russell 1914; Husserl 1914). Es ist die Denktradition Russells, von der ausgehend auch der logische Empirismus den Begriff und Status der Philosophie in Frage stellt.[1] Trotz der programmatischen Unterschiede ihrer VertreterInnen findet die Konzeption einer wissenschaftlichen Philosophie in dem 1929 veröffentlichten und Moritz Schlick gewidmeten Manifest einen prominenten Ausdruck.[2]
Mit diesen Erneuerungsversuchen der Philosophie gehen gleichzeitig zwei Oppositionen einher: Erstens die sogenannte Systemphilosophie (insb. Hegels), also jene Versuche, eine nach Prinzipien geordnete Weltsicht zu entwerfen. Zweitens die Philosophie als Wissenschaft, in der die Philosophie in den Methoden der Einzelwissenschaften (wie u. a. bei Neurath) aufgeht.[3]
Trotz dieser gemeinsamen Opposition unterscheiden sich beide Ansätze – Husserls Wissenschaft des reinen Bewusstseins bzw. Phänomenologie und Russells Verbindung von Philosophie und Logik bzw. der logische Empirismus – ganz grundsätzlich. Während die wissenschaftliche Philosophie im Empirismus neben der logischen Analyse auf der Forderung einer empirischen Basis aller sachhaltigen Erkenntnis basiert, versteht Husserl reines Bewusstsein als den zentralen Gegenstand seiner Untersuchung.[4] Die historischen Quellen und die Entwicklungsgeschichte dieser Konzeption von wissenschaftlicher Philosophie – in Opposition zur Phänomenologie und unter besonderer Berücksichtigung des von Feigl (1981, 38) sogenannten realistically inspired Logical Positivism (vertreten u. a. von Schlick, Reichenbach, Feigl und Kraft) – wird im Rahmen des Workshops im Zentrum stehen.
Werden die Erneuerungsversuche des logischen Empirismus kontextualisiert, zeigt sich eine Vielfalt unterschiedlicher Strömungen, die explizit zur Entstehung wissenschaftlicher Philosophie beigetragen haben. Der revolutionäre Anspruch wissenschaftlicher Philosophie hat dazu geführt, dass ihre historische Dimension lange nicht ausreichend Beachtung gefunden hat. Sie zeigt allerdings, dass wissenschaftliche Philosophie nicht nur inhaltlich maßgeblich auf einem Philosophiebegriff des 19. Jahrhunderts aufbaut, sondern auch dem Terminus nach bereits dort zu finden ist (Richardson 1997, 2023, 29–32; Damböck 2017). Für ein historisches Verständnis von wissenschaftlicher Philosophie werden dabei der Empiriokritizismus (Avenarius und zum Teil Mach) und ein spezifisch empiristisch orientierter Neukantianismus (wie u. a. bei Helmholtz und Riehl), aber auch Quellen der Phänomenologie (wie Brentano) sowie des französischen Konventionalismus (Poincaré und Duhem) wichtig. Diese Denktraditionen stehen wiederum in einem noch engeren systematischen Austausch mit Philosophemen des 18. Jahrhunderts – insbesondere mit Locke, Hume und Kant.
Diese Quellen – in ihrer Transformationsgeschichte vom 18. ins 19. Jahrhundert – genauer zu beleuchten, ist das Ziel des Workshops an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Dabei sollen beide Komponenten dieser spezifischen Ausprägung wissenschaftlicher Philosophie, die logische Analyse und ihre empirische Basis, thematisch werden: Erstere liegt in einer Problematisierung der Natur der Mathematik, der Frage nach dem Gegenstand der Logik bzw. noch allgemeiner gesprochen dem Status von regulativen Prinzipien und ihrer Apriorizität; zweitere im Empfindungsbegriff, dem Konzept raumzeitlicher Gegenstände und dem Elementbegriff.
Eingeladen sind dazu führende internationale ExpertInnen:
Chiara Russo Krauss (Neapel)
Michael Stöltzner (Columbia, SC)
Simone de Angelis (Graz)
Rudolf Meer (Bochum)
Thomas Uebel (Manchester)
Christian Damböck (Wien)
Guillaume Fréchette (Genf)
Thomas Sturm (Barcelona)
Anhand dieser Beiträge wird im Workshop versucht, Wege aufzuzeigen, wie wissenschaftliche Philosophie im langen 19. Jahrhundert unsere Sicht auf die Stellung der Philosophie zu den Wissenschaften, aber auch zum alltäglichen Leben geprägt hat, und wie sich diese gegebenenfalls auch reformieren lässt.
Organisatorische Aspekte: Der Workshop wird in Form von Arbeitsgesprächen organisiert und abgehalten. Auf längere Vorträge wird daher verzichtet. Die TeilnehmerInnen haben sich bereit erklärt, (eigene) Texte und historische Quellen zur Verfügung zu stellen und in Form von Impulsvorträgen (ca. 20 Minuten) zu präsentieren. Dadurch erhoffen wir uns den Diskussionsteil im Rahmen der Veranstaltung zu erhöhen und in einen intensiven Austausch zu diesem Thema zu kommen.
Der Workshop wird auch für die interessierte Öffentlichkeit zugänglich sein.
Die Arbeitssprachen des Workshops sind Deutsch und Englisch.
Forschungsliteratur
Damböck, Christian (2017): ‚Deutscher Empirismus‘. Studien zur Philosophie im deutschsprachigen Raum 1830–1930. Cham.
Friedman, Michael (1987): „Carnap’s Aufbau Reconsidered“. Noûs 21.4, 521–545.
Friedman, Michael (2001): Dynamics of reason: The 1999 Kant lectures of Stanford University. Stanford.
Friedman, Michael (2012): „Scientific Philosophy from Helmholtz to Carnap and Quine“. In: Richard Creath (Hrsg.): Rudolf Carnap and the Legacy of Logical Empiricism. Cham, 1–11.
Husserl, Edmund (1914[2009]): Philosophie als strenge Wissenschaft. Hrsg. v. Eduard Marbach. Hamburg.
Neuber, Matthias (Hrsg. 2016): Husserl, Cassirer, Schlick: ‚Wissenschaftliche Philosophie‘ im Spannungsfeld von Phänomenologie, Neukantianismus und logischem Empirismus. Cham.
Richardson, Alan (1992): „Logical Idealism and Carnap’s Construction of the World“. Synthese 93.1–2, 59–92.
Richardson, Alan (1997): „Toward a History of Scientific Philosophy“. Perspectives on Science 5, 418–51.
Richardson, Alan (2008): „Scientific Philosophy as a Topic for History of Science“. Isis 99, 88–96.
Richardson, Alan (2023): Logical Empiricism as Scientific Philosophy. Cambridge.
Russell, Bertrand (1914[1922]): Our Knowledge of the External World as a Field for Scientific Method in Philosophy. London.
Sauer, Werner (1993): „Über das Verhältnis des Aufbaus zu Russells Außenwelt-Programm“. In: Rudolf Haller, Friedrich Stadler (Hrsg.): Wien-Berlin-Prag: Der Aufstieg der Wissenschaftlichen Philosophie. Wien, 98–119.
[1] Siehe dazu weiterführend Richardson 2023 sowie in Opposition dazu Smith 1994, 1996.
[2] Zum Verhältnis von Phänomenologie, logischem Empirismus und Neukantianismus und ihre Konzeption als wissenschaftliche Philosophie siehe Neuber (Hrsg.) 2016.
[3] Gleichzeit entsteht die Lebensphilosophie, die sich maßgeblich an der wissenschaftlich orientierten Philosophie abarbeitet.
[4] Auch wenn die Empfindung bei Russell und Carnap anders gewichtet wird (Friedmann 1987, 521–545; Richardson 1992, 45–72; Sauer 1985, 1993), haben beide einen gemeinsamen Ausgangspunkt gegenüber der phänomenologischen Tradition. Am Begriff der wissenschaftlichen Philosophie lassen sich folglich auch die geteilten Wege der kontinentalen und der analytischen Philosophie festmachen.
Portrait Alois Riehl, Sammlung Ismael Gentz.